Die Geister sind vertrieben

Der Karlsruher SC war einmal eine der besseren Adressen im deutschen Fußball und hat sogar denFC Valencia 7:0 geschlagen. Nach Jahren des Niedergangs strebt der Verein nun wieder nach oben

„In dieser Saison unter die ersten acht, nächstes Jahr die ersten drei ärgern. Dann muss spätestens aufgestiegen werden“

AUS KARLSRUHE FRANK KETTERER

Wenn Edmund Becker, den nun wirklich alle nur Ede nennen rund um Karlsruhe, über die Vergangenheit reden soll, gewinnt sogar sein weicher badischer Singsang ganz schnell an Härte. „Bockmist“, sagt Ede Becker dann, sei damals gebaut worden, und schon die vehemente Art, mit der er dieses Wort hinausbellt, lässt erahnen, dass es eine ganze Menge Bockmist gewesen sein muss – und dass es dem 49-Jährigen noch heute den Zorn hochtreibt, wenn er darüber reden soll. Ede Becker war ja schon damals, Ende der 80er-Jahre, beim Karlsruher SC, eigentlich war Becker immer da. Erst als Spieler, dann als Amateur- und Co-Trainer. Becker musste hautnah miterleben, wie die Karlsruher aufgestiegen sind zu einer der besseren Fußball-Adressen in Deutschland – und noch schneller wieder ab. Es waren die glorreichen Zeiten von Winnie Schäfer, dem „wilden Winnie“, der den Verein erst in die Bundesliga führte und dann bis ins Halbfinale des Uefa-Cups. Und es waren die Zeiten von Kahn und Scholl und Nowotny und Kiriakov und Häßler, alle spielten in Karlsruhe. Einmal, es war am 3. November 1993 und im Uefa-Cup, haben sie den FC Valencia mit 7:0 geschlagen. Echt! SIEBENNULL!

Irgendwann danach haben sie den Boden unter den Füßen verloren, und es begann der Absturz. Erst ziemlich langsam, dann ganz schnell. Schäfer musste den KSC verlassen, der KSC die Bundesliga, Geld hatten sie da schon so gut wie keines mehr. All die Uefa-Cup-Millionen – weg. Der KSC, zwischenzeitlich sogar in die Regionalliga abgestiegen, war zum Sozialfall geworden; vom „Millionär zum Tellerwäscher“, wie es die taz formulierte.

Man muss das hier noch mal hinschreiben, weil man sonst nicht so ganz verstehen kann, warum die Menschen in Karlsruhe derzeit wieder ziemlich stolz auf ihren KSC sind. Sechster ist die Mannschaft derzeit in Liga zwei – und die neu entfachte Euphorie wirkt dafür eigentlich ein bisschen zu groß. Andererseits: Vor 14 Tagen waren sie Zweitliga-Tabellenführer, zwar nur für ein paar Stunden, aber zum ersten Mmal seit 20 Jahren. Also: Darf man da nicht mal ausflippen?

Rolf Dohmen ist nicht ausgeflippt, selbst an diesem Freitag vor zwei Wochen nicht. Vielleicht, weil es nicht seine Art ist, Dohmen ist eher ein distanziert wirkender Mensch. Vielleicht, weil er als Sportdirektor weiß, dass es keinen Grund dafür gibt. Dohmen, früher selbst KSC-Spieler, sagt: „Natürlich lechzt die Region nach der ersten Liga.“ Er sagt aber auch: „Man muss Geduld haben.“ Der Sportdirektor kann seine Forderung sogar mit Zahlen begründen. Sportlich ist es so, dass der KSC in den letzten vier Jahren jeweils bis zum letzten Spieltag gegen den Abstieg kämpfen musste. Wirtschaftlich hat der Klub in den letzten drei Jahren zwar ebenso viele Millionen Euro Schulden getilgt, noch immer aber wird er von 4,9 Millionen „Negativkapital“ gedrückt, wie Dohmen das nennt. Der Rausch war riesig damals – entsprechend lange wirkt der Kater nach. Dohmen hat das am eigenen Leib erfahren müssen. Als er vor drei Jahren den Posten übernahm, schlugen Banken und Sponsoren dem KSC-Manager die Tür vor der Nase zu. „Mittlerweile“, sagt Dohmen, „haben wir die Geister von früher vertrieben und das Vertrauen zurückgewonnen.“ Selbst die Lizenz erhält der KSC wieder „relativ leicht“.

Lediglich die Trainer-Posse vor einem Jahr will nicht in die saubere Bilanz des Sportdirektors passen. Dohmen wollte damals seinen alten Spezl Reinhold Fanz als Nachfolger des geschassten Lorenz-Günther Köstner installieren, Hauptsponsor EnBW wehrte sich gegen die Verpflichtung des nicht eben renommierten Fanz und drohte mit Rückzug. Der Sponsor setzte sich durch, Fanz musste nach nur neun Tagen im Amt gehen, Dohmen stand auf der Kippe. Heute sagt er: „Es war eine Zerreißprobe. Gott sei Dank sind wir da gut rausgekommen.“

Es soll Menschen in Karlsruhe geben, die die Affäre längst als Glücksfall sehen. Für Fanz sprang nämlich Ede Becker in die Bresche, der Co-Trainer. Erst interimsmäßig, dann so richtig. Im ersten Halbjahr rettete er den KSC erneut vor dem Abstieg, nun, in seinem zweiten, führte er den Klub an die Tabellenspitze, zumindest für zwei Tage. Becker gilt als akribischer Arbeiter, er ist KSCler durch und durch, vor allem aber ist er die pure Bodenständigkeit. „Ich bin keiner, der in Extreme verfällt“, sagt Becker über Becker – und so hat er Tabellenplatz eins mit der gleichen Nüchternheit zur Kenntnis genommen wie nun wieder Rang sechs nach der Niederlage gegen die Münchner Löwen letzten Sonntag. Für Becker ist die Tabelle eine „Momentaufnahme“, mehr nicht. Derzeit bieten sich durchaus schöne Momente, aber deshalb gleich vom Aufstieg zu faseln, wie es durchaus schon wieder getan wird rund um den Wildpark, das kommt ihm nicht in den Sinn. „Man muss die Euphorie ein wenig bremsen“, sagt Becker.

Dabei ist es nicht so, dass er kein Vertrauen in das Können seiner Mannschaft hätte, ganz im Gegenteil. Zwar will Becker das nicht als Prognose verstanden wissen, aber er sagt: „Wenn wir das bisherige Niveau halten, ist sicherlich vieles möglich.“ Zumal sich die Mannschaft im Laufe der Saison stetig gesteigert hat, sie ist ja auch verdammt jung – und kann noch dazulernen. Zehn Spieler haben die 23 noch nicht überschritten, gleich 12 kommen aus der eigenen Jugend oder von den Amateuren, Nachwuchsarbeit wurde schon immer groß geschrieben beim KSC. „Da ist noch Luft nach oben“, ist sich Becker sicher. Andererseits weiß er auch, dass so eine junge Mannschaft nicht eine ganze Saison über am oberen Leistungslimit spielen kann, so wie das bisher der Fall war.

Auch deshalb wiegelt Becker ab, wenn die Euphorie überzukochen droht. „50 Punkte“, das hat er sich zum Ziel gemacht. Es wäre der sorgenfreie Klassenerhalt – und realistisch. Auch Rolf Dohmen kann sich damit anfreunden, allerdings nur als Etappe in einem größeren Plan. Der geht so: „In dieser Saison unter die ersten acht, nächstes Jahr die ersten drei ärgern.“ Und dann, Herr Dohmen? „Dann muss spätestens aufgestiegen werden.“